Tahar Ben Jelloun

Papa, was ist der Islam? 
 


Vor einer Woche gab der Vatikan bekannt, dass es erstmals mehr Muslime als Christen auf der Welt gibt. Vor wenigen Tagen wurde von Osama Bin Laden behauptet, er sei "gesund und wohlauf". Fast täglich findet man in der Presse Nachrichten über die islamische Welt und meist sind diese negativ, beängstigend oder erregen Unverständnis. Obwohl Muslime nicht nur in Deutschland seit Jahrzehnten einen festen Bestandteil der Gesellschaft darstellen, tun sich Staaten in Europa immer wieder schwer mit ihren muslimischen Nachbarn.

Dies zeigte sich nicht nur im Karikaturenstreit in den Niederlanden oder in der Frage nach Moscheen in exponierter Stadtlage, die wie in München-Sendling intensive Auseinandersetzungen hervorrufen, sondern auch in alltäglichen Dingen - vom Kopftuch bis zur Frage nach einem eigenständigen Islamunterricht an deutschen Schulen. Dass der Islam unter anderem in Deutschland zunehmend als fremd wahrgenommen wird, ließe sich an zahlreichen Beispielen belegen. Auf der anderen Seite grenzen sich gerade in Europa immer mehr Muslime bewusst von modernen westlichen Lebensgewohnheiten ab und ziehen sich in eine Parallelwelt zurück. An dieser problematischen Entwicklung von gegenseitigem Unverständnis, zunehmender "Islamphobie" und übersteigerter Religiosität mancher Muslime, die sich gefährlich an den islamischen Fundamentalismus annähert, sind verschiedene soziokulturelle und politische Faktoren schuld. Daher ist es begrüßenswert, dass nach der unsäglichen "Leitkultur"-Debatte vor einigen Jahren spätestens seit 2006 in der Bundesrepublik verstärkt das Thema  "Integration" auf die Agenda der Regierung gesetzt worden ist.


Papa, was ist der Islam?
Hörspiel mit Dietmar Mues, Johanna Bergmann, Thomas Kleinike u.v.a.
Regie Angeli Backhausen - Produktion Westdeutscher Rundfunk - Der Audio Verlag 2004

Angst und Ablehnung gegenüber Fremdartigem rührt meist aus Unwissenheit, deshalb kommt Thara Ben Jellouns Roman "Papa, was ist der Islam?" große Bedeutung zu, der spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vorhandenen Skepsis gegenüber dem Islam entgegenzuwirken. Es ist zutreffend, dass der marokkanische Schriftsteller diese Frage nur mit "Allgemeinwissen" beantwortet, und es mag sogar stimmen, dass Ben Jelloun vor brisanten Fragen "kneift" und mit "Allerweltsphrasen" oder mit "Moralismus" ausweicht, wie ihm einzelne Kritiker vorhalten, doch verkennen diese Rezensenten wohl seine Zielgruppe.

Um der Verunsicherung seiner Kinder über die eigene Religion, die die Terroranschläge ausgelöst hat, entgegenzutreten, verfasste der Autor ein jugendgerechtes Sachbuch, mit dem er in einfacher und anschaulicher Sprache die facettenreichen Grundlagen der in Verruf geratenen Weltreligion erzählt: "Ich spreche zu den Kindern, weil ich glaube, dass alle Pädagogik dort anfängt. Sie beginnt in der Grundschule. Da werden einem die wesentlichen Dinge beigebracht. Da lernt man die wichtigen Grundelemente."


Tahar Ben Jelloun

Seit 2004 liegt Ben Jellouns "Kinderbuch für alle" (Weltwoche) auch als Hörspiel des Westdeutschen Rundfunks vor und lädt zu einer knapp einstündigen akustischen Reise in die Welt des Islams ein. Untermalt von arabischer Musik beginnt der Vater (Dietmar Mues) mit warmer Stimme ganz in der Tradition der orientalischen Märchenerzähler seinen Bericht über Al Amin, den Sanftmütigen, dessen Lebensziel es war, das Zusammenleben der Menschen zu verbessern. Rasch wird den lauschenden Kindern, gesprochen von Johanna Bergmann und Thomas Kleinke, klar, dass es hier um die Lebensgeschichte des Propheten Mohammed geht, von seinen Erfahrungen als Hirte und Händler bis hin zur Erleuchtung durch den Erzengel Gabriel, der ihm die Suren des Korans diktierte. Reizvoll gestaltet Regisseurin Angeli Backhausen die Ausführungen des Vaters als Mischung zwischen Hörbuch und Hörspiel; dabei wird die Erzählung vom Leben Mohammeds immer wieder durch szenisch gesprochene Sequenzen eindrucksvoll durchbrochen, sodass der Hörer schon im ersten Kapitel die Verzweiflung und den tödlichen Schrecken Mohammeds spürt, als er, der dem Alphabet unkundig war, der Aufforderung des Erzengels, die Schriftzeichen zu lesen, nicht Folge leisten kann.

Durch die Nachfragen seiner Kinder wird der Vater zudem immer wieder aufgefordert seine Ausführungen zu vertiefen und genauer zu erläutern; und gerade die scheinbar naiven Fragen, zum Beispiel, ob man denn einfach so eine Religion wie einen Verein gründen könne oder ob er denn wirklich immer fünfmal am Tag bete, zwingen ihn dazu, sich selbst über den eigenen Glauben klar zu werden. In den ersten sechs der insgesamt acht Tracks entwickelt sich so ein verständliches Bild der Entstehung der jüngsten monotheistischen Religion von der Erleuchtung Mohammeds bis hin zu seiner Flucht nach Medina im Jahre 622, dem Beginn der islamischen Zeitrechnung. Auch die nicht immer gewaltlose Ausbreitung des Islams unter dem Propheten und seiner Nachfolger findet Eingang in die Erzählung des Vaters. Mit dem Glaubensbekenntnis, dem täglichen Gebet, dem Fastenmonat Ramadan, der Pilgerfahrt nach Mekka und der Almosenpflicht werden dem Hörer auch die fünf Grundregeln des Islam ohne jede Dogmatik nahegebracht; die Gesetze des Korans werden als Angebot Gottes, als Hilfestellung, die jeder Mensch freiwillig befolgen kann, dargestellt, denn im Islam gibt es keinen Zwang, wie Ben Jelloun in der Figur des Vaters gegenüber seinen Kindern betont.

Im zweiten Teil des Hörspiels wird das goldene Zeitalter des Islam zwischen dem neunten und elften Jahrhundert beschworen, in der sich Städte wie Bagdad - heute vor allem Sinnbild für den gescheiterten Irakkrieg und alltäglichen Terror - unter dem Kalifen Harun al Raschid zu modernen Weltmetropolen entwickeln konnten, in denen Kultur, Wissenschaft und vor allem Toleranz blühten. Durch die Erinnerung an diese einstige kulturelle Größe des Islam zeigt Ben Jelloun die Schwierigkeit einiger islamischer Staaten, heute den Anschluss an die Moderne zu finden und warnt davor, diese Rückständigkeit durch Fundamentalismus ausgleichen zu wollen. Das vorletzte Kapitel beginnt mit einer eindringlichen Toncollage aus verschiedenen Nachrichtenmeldungen zu den Anschlägen auf das World Trade Center, die mit ihrer Zerhacktheit im scharfen Kontrast zur sonst so harmonischen Geräuschatmosphäre der Produktion steht. Mit fast schon beschwörender Stimme verurteilt der Vater die Terroristen als Verbrecher, die blind vor Hass und Selbstgerechtigkeit sind und allen Muslimen schaden. Außerdem entlarvt er die Verheißungen der Fanatiker, mit denen sie ihre Selbstmordattentäter rekrutieren, als menschenverachtende Lügen.

Tahar Ben Jellouns eindringliches Plädoyer für Wissen, Toleranz, Neugierde sowie Offenheit für Neues und gegenüber dem Mitmenschen könnte eine Lösung der aktuellen Konflikte zwischen den Religionen sein.

Michael

 

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